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Kunden, Vettern, Randgruppen

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Ein Phänomen namens “Service Nepotismus” liest sich auf den ersten Blick wie ein völlig abgedrehtes Forschungsverfangen extrem verrückter Wissenschaftler. Für den zweiten Begriff dieser sprachschöpferischen Kombination bietet der Duden als Wortherkunft “italienisch nepotismo, zu lateinisch nepos (Genitiv: nepotis) = Enkel, Neffe” an, was das Thema auf den zweiten Blick auch nicht gerade prickelnder erscheinen  lässt. Doch wenn die Sprachwächter aus Mannheim unter “Synonyme” und “Bedeutung” auf alarmierende Übersetzungshilfen wie “Schiebung, Vetternwirtschaft” verweisen, gehört für mich als selbsterklärter Antikorruptionsbeauftragter selbstverständlich Aufklärung dazu in dieses Tagebuch “aus der Welt der Märkte und Marken”.

Wissenschaftler am Lehrstuhl für Marketing der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben nämlich mit Kollegen der Northern Illinois University, USA, jetzt erstmals dieses Phänomen untersucht und dabei festgestellt: Randgruppen genießen als Kunden quasi wie Verwandtschaft von ihnen zugeneigten Mitarbeitern bemerkenswerte Vorteile. Potzblitz, wer hätte das gedacht!? Denn aus eigener Erfahrung als geächteter Vater dreier Kinder und damit hoher Zahlungsbereitschaft bin ich eher den Katzentisch im Restaurant gewohnt und auch sonst als bemitleidenswerter Fall nicht vom Service der Marke “Sonderbehandlung” verwöhnt. Sollte ich also künftig besser ein Bein nachziehen, wirre Selbstgespräche führen oder unkontrolliert mit dem Kopf zucken, um bestens bedient zu werden? Fest steht für die Forscher, was sie vornehm ausdrücken, dass “Kunden aus stigmatisierten Gruppen häufig sogar besondere Vorteile genießen und zwar dann, wenn sie von Mitarbeitern bedient werden, die der gleichen Minderheit angehören”. Ihre Mitteilung dazu lässt der federführende Marketingprofessor, der auf den fantastischen italienisch-britischen Namensmix oder gar Künstlernamen Gianfranco Walsh (im Bild) hört, mit dem ironisch an mafiöse Gebärden erinnernden Titel “Familienmitglieder bevorzugt” überschreiben.

Die Vetternwirtschaft unter gleich Benachteiligten ist nicht nur ungerecht aus Kundensicht der Ungehandicapten. Das Verhalten ist auch problematisch aus Sicht der Unternehmensführung: Denn die Vorteile werden ja sehr willkürlich durch die Mitarbeiter gewährt, während das Management keinen Einfluss auf die Auswahl der bevorzugten Kunden hat. “Der Kundenwert etwa – ein zentrales Kriterium im Unternehmensmarketing –”, moniert Signore Walsh, spiele bei diesem Vorgehen überhaupt keine Rolle. Insofern sei dann nicht klar, ob und wie sich die entstehenden Kosten für das Unternehmen tatsächlich lohnen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Unternehmen durch diese Praxis andere Kunden verlieren, die nicht in den Genuss solcher Vorteile kommen.

Was wir nicht vergessen dürfen: Insbesondere im Dienstleistungssektor berichten Konsumenten mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderung häufig eher von diskriminierenden Erfahrungen. Sie werden schlechter beraten oder bekommen einen anderen Service als andere Kunden. Dass es auch andersherum geht, haben die Wissenschaftler aus Jena und Illinois nun erstmals nachgewiesen.  Sie haben dazu in umfangreichen Interviews spezielle Konsumenten aus den USA und Deutschland befragt: Vor allem dazu, ob und welche Vorteile sie von Dienstleistungsmitarbeitern erhalten haben. Bei den Befragten handelte es sich entweder um homosexuelle Männer (USA) oder türkische Einwanderer (Deutschland).

„Es zeigte sich, dass homosexuelle Dienstleistungsmitarbeiter homosexuelle Kunden häufig erkennen und ihnen dann ein Serviceniveau bieten, das über das übliche hinausgeht“, fasst Prof. Walsh ein wesentliches Ergebnis zusammen. So berichteten diese Konsumenten etwa von besonders umfassender Beratung sowie geldwerten Vorteilen wie kostenlosen Upgrades in Hotels. “Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft” – dieser Spruch aus deutschem Volksmund bekam da womöglich eine ganz neue Bedeutung. Von Vorteilen berichteten auch die befragten Türken: So rundeten etwa türkische Verkäufer in Geschäften den zu zahlenden Betrag für ihre türkischen Kunden großzügig ab oder türkische Kellner bedienen die türkischen Gäste im Restaurant schneller als die anderen. Herr Ober, mein arkadaş, die Rechnung bitte!

Wie es Verbrauchern in Ländern geht, in denen Kunden per se eine Randgruppe darstellen, belegt diese Dokumentation:

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